Die Reise der Verstoßenen
Die schöne Wölfin Morgenröte wird von ihrem Rudel verstoßen, obwohl sie eigentlich die nächste Leitwölfin geworden wäre. Doch es herrscht Hunger. Da ihre beste Freundin nicht mit ansehen kann wie Morgenröte elendig verhungert gibt sie ihr einen Tipp. Morgenröte befolgt den Rat und geht mit ihren Welpen zum See. Auf ihrer Reise lernt sie viele Mitleidende und neue Rudelmitglieder kennen. Aber auf der Suche dahin lauern viele Gefahren. Werden alle ihr Ziel erreichen und werden sie dort glücklich werden?
Leseprobe
Eine graue Wölfin mit einer weißen Zeichnung auf dem Gesicht schritt aus einen steinerden Bau. Sie tapste mit schweren Schritten auf eine andere braungraue Wölfin zu.
„Guten Tag, Morgenröte. Gut geschlafen? Deine Jungen Mondschein, Abendsonne und Feuerfell sind schon wach“, sprach die braungraue Wölfin zu der grauen Wölfin.
„Danke der Nachfrage Rehknochen, ich habe gut geschlafen. Kommst du gleich mit auf die Jagd? Wir könnten Fluss und Hasenjäger mitnehmen“, fragte Morgenröte die andere Wölfin. Rehknochen überlegte einen Moment und willigte dann mit einen Nicken ein.
„Ich frage Schwarzwolke, ob wir gehen dürfen und du holst Fluss und Hasenjäger“, entschied Morgenröte. Dann ging sie auf einen großen grauen Felsen zu. Auf diesen Berg wohnte der Alpha Wolf, der Anführer ihres Rudels. Mit großen Sprüngen erklomm sie den Felsen. Sofort konnte sie den Alpha Wolf sehen. Er war ein großer schwarzer Rüde. Mit gesenkten Kopf schlich sie vorsichtig auf ihn zu. Er drehte sich zu ihr um und Morgenröte erkannte sein mit Hass erfülltes Gesicht.
„Was willst du?“, fragte der Alpha Wolf mit zorniger Stimme. Morgenröte wich ein paar Schritte zurück.
„Ich wollte fragen ob ich mit Rehknochen, Fluss und Hasenjäger für das Rudel jagen gehen kann“, flüsterte die Wölfin ängstlich. Der große Rüde überlegte ein paar Sekunden dann nickte er. Schwarzwolke gab ihr mit seiner Rute ein Zeichen, dass sie nun gehen konnte.
Schnell sprang sie von den steinerden Felsen runter. Unten erwarteten sie schon Fluss, Rehknochen und Hasenjäger. Fluss war ein grauer dünner Wolf. Neben ihn stand Hasenjäger. Er war auch ein großer grauer Wolf, aber etwas eingebildeter als Fluss.
„Ich gehe voran. Ihr bleibt dicht hinter mir. Wenn wir ein Tier sehen nehmen wir die übliche Variante.“, befahl der große Hasenjäger. Die anderen Wölfe nickten zustimmend, auch wenn sie alle nichts von ihm hielten. Dann gingen sie los.
Die vier Omegas schritten hinaus in den Wald, wo sie geschützter Beute machen konnten. Morgenröte spürte endlich die Freude wieder jagen zu dürfen. In ihrem Rudel war das nicht selbstverständlich. Ihr Alpha Wolf hatte nie Mitgefühl. Wenn jemand krank oder zu schwach war, wurde er getötet, damit er den Rest des Rudels nicht in Gefahr brachte. Es wurden auch Wölfe aus dem Rudel verbannt, da es zu wenig Essen gab. Morgenröte hatte immer große Angst, dass ihr eines Tages auch sowas geschehen würde. Aber bisher wurde fast jeden Vollmond ein anderer Name aufgerufen.
Nach einiger Zeit waren sie auf einer großen bewachsenen Wiese angekommen. Am Ende der Grasfläche stand ein Rehbock. Er hatte die Wölfe zum Glück noch nicht gesehen.
„Fluss du scheuchst ihn zu mir und Morgenröte. Rehknochen du sicherst die Fluchtwege ab“, flüsterte der braun graue Hasenjäger. Jeder Wolf tat wie ihm befohlen wurde.
Plötzlich rannte der Rehbock los. Mit seinen donnernden Hufen kam er geradewegs auf Hasenjäger und Morgenröte zu. Als die graue Wölfin sich aufrichtete, drehte sich der ängstliche Rehbock um. Er rannte um sein Leben, doch Morgenröte war schneller.
Eifrig packte sie den Bock mit ihren spitzen Zähnen. Der verängstigte Rehbock machte noch seine letzten Zuckungen. Doch nach ein paar Sekunden erschlaffte sein Körper. Mit großer Begeisterung kamen auch die Anderen.
„Gut gemacht Morgenröte. Ich hätte es nicht besser gekonnt“, lobte Rehknochen die graue Wölfin. Hasenjäger kam wütend näher. Er machte ein unfreundliches Gesicht.
„Das war nur Glück!“, meinte der große Wolf. „An deiner Stelle hätte ich sogar noch schneller zugepackt.“ Morgenröte sah ihn feindselig an. Dann schnappte sie sich die Beute und ging mit den anderen zurück.
Als sie angekommen waren, kam ihnen Schwarzwolke der Alpha Wolf entgegen. Er nahm den Omegas, ohne ein Wort zu sagen, die Beute ab. Wieder ohne Essen ins Bett, dachte sich die graue Wölfin traurig. Sie ging weiter bis vor den großen Felsen. Dennoch gab es heute noch etwas viel wichtigeres als Beute. Vollmond!
Morgenröte setzte sich neben ihre alte Freundin Rehknochen. Sie lächelte sie freundlich und dennoch ängstlich an. Sie wusste, dass jetzt die Stunde der Wahrheit kam. Denn diese Nacht war Vollmond, auch Wolfsmond genannt. In dieser Nacht sangen alle den Mond an. Jeder einzelne Wolf schickte seine Wünsche an seine Ahnen. In dieser Nacht wurden auch sehr wichtige Entscheidungen getroffen, die das ganze Rudel betrafen und der Alpha Wolf empfing Botschaften von seinen Vorfahren.
Morgenröte sah von hinten die Pfoten ihrer Jungen näher kommen. Als erstes setzte sich die schöne Wölfin Mondschein neben sie. Die junge schneeweiße Wölfin hatte gerade vor vier Vollmonden ihre Ausbildung zur Omega Wölfin begonnen. In Morgenrötes Augen war sie eine Hervorragende Schülerin. Langsam kamen auch ihre beiden jüngeren Geschwister an. Abendsonne und Feuerfell nahmen neben ihrer vier Vollmonden älteren Schwester Platz. Abendsonnes schwarzes Fell konnte kaum ein Wolf im Mondlicht erkennen. Das Haar von ihren Bruder dagegen war besser zu sehen. Er sah gar nicht wie seine Mutter aus. Feuerfell hatte ein braunes Fell, aber keine besondere Zeichnung wie seine Mutter im Gesicht.
Plötzlich erhob der Alpha Wolf seine Stimme: „Wolfsmond ist gekommen!“. Schwarzwolke saß auf einen oberen Felsen der aus der Menge heraus ragte. Als Erstes begann der Alpha Wolf zu jaulen, nach und nach stiegen je nach Rangfolge alle anderen ein. Morgenröte war die Letzte. Bitte last mich und meine Jungen nicht verbannt werden. Bitte!, betete sie innerlich.
Dann ergriff Schwarzwolke wieder das Wort: „Heute Nacht muss leider wieder einer gehen. Die Frischbeute wird knapp und wir können nicht alle ernähren.“, der Anführer machte eine Pause, „Dieses Mal werden uns Morgenröte und ihre Welpen verlassen!“ Die Wölfin erschrak, für sie brach eine Welt zusammen. Wo sollte sie nun hin mit ihren Welpen und würden sie verhungern? Sie spürte die Blicke der anderen wie tausend Kiefernadeln.
Die graue Wölfin lag traurig in ihrem Moosbett. Wohin soll ich gehe? Feuerfell und die anderen werden ihren Geburtsort wohl nie verlassen wollen. Sie hörte wie ihre Freundin Rehknochen in den Bau kam.
„Es tut mir so leid für dich.“, Rehknochen machte eine Pause und guckte traurig nach unten „Aber ich weiß wo du hin kannst.“ Erstaunt sprang die Omega Wölfin auf. „Gehe den Fluss entlang, bis du an eine Quelle kommst. Von dort aus folge nur den Nordstern, biss du einem See erreichst. Dort kannst du in Ruhe mit deinen Welpen leben.“ Rehknochen schaute wieder etwas ermunterter hoch. „Ich habe neulich Grass getroffen, du weißt doch der, der Verbannt wurde. Er hat sich in den Bergen sein eigenes Rudel aufgebaut. Du kannst das auch schaffen.“ Mit diesen Worten ging Rehknochen aus der Omega Höhle raus. Ich werde mein Bestes geben das verspreche ich, dachte sie im Stillen.